Der Pragmatiker würde seinen Fokus vielleicht mehr auf die ökonomische Funktion des Waldes als Lieferant wertvollen Holzes und die Erfüllung wichtiger Aufgaben wie Wasserschutz, Luftreinigung usw. anführen.
Der Romantiker würde die besondere Stimmung, das Licht, die Luft im Wald anführen. Der Naturschützer verfolgt mehr den ökologischen Ansatz. So findet jeder seinen eigenen ganz persönlichen Bezug zum Wald und jeder wird diesem auch eine selbstdefinierte Wertschätzung entgegenbringen.
Als Förster der Stadt Bad Waldsee bin ich für die Bewirtschaftung von 600 ha Stadtwald zuständig. Ich erlebe in meiner täglichen Arbeit im Wald wie unterschiedlich der Wald als die Summe vieler Bäume aber auch einzelne Bäume wahrgenommen werden. So gibt es sehr feine und genaue Beobachter, welche jede Veränderung sofort wahrnehmen. Diese Klientel schätzt den Wald so sehr, dass Sie mit tiefer Betroffenheit jede Veränderung registrieren. Im Wald ist aber von Natur her nichts beständiger als der stetige Wandel.
Auf der anderen Seite gibt es aber auch Teile in der Bevölkerung, die den Wald als Müllhalde betrachten. Es gibt Monate da müssen die Kollegen mehrfach wilden Müll aus dem Wald abholen. Oft ist dieser Müll mit problematischen Chemikalien belastet. Ich frage mich dann oft: Wie kann man so respektlos gegenüber der Natur handeln? Erfassen diese Menschen tatsächlich die Tragweite Ihres Handelns nicht? Warum kann man legal bei den großen Sommerfesten Luftballons aus Alufolie kaufen, welche zu einem großen Anteil danach als Müll auf den Wald niedergehen. Ist den Rauchern nicht bewusst, dass jede weggeworfene Zigarettenkippe ca. 3000 Liter Wasser mit giftigsten Chemikalien verseucht? Die Liste ließ sich unendlich fortsetzen. Was fehlt, ist die Reflexion des eigenen Handelns; ist die Übernahme der Verantwortung für das eigene Handeln.
Da gibt es einzelne Mountainbiker, die nach dem Motto handeln „Was wir können, das wollen wir auch tun“. Problemanzeige: mit diesen neuen Bikes kann man fast alles. Und so wird querfeldein – ohne Rücksicht auf Vegetation, Tiere und Boden – der eigene Spaß ausgelebt. Der Wald dient hier nur als Spielwiese, um den eignen Egoismus auszuleben. Was vergessen wird: Der Wald ist auch Lebensraum für zahlreiche Arten, welche auf Ruheinseln, auf denen der Mensch nicht vorkommt, angewiesen sind. Das respektlose Verhalten und Ignorieren der Regeln gehen hier sicher nicht mit Wertschätzung für den Wald als Ort des Tuns einher. Zum Glück handelt es sich hier um eine kleine Minderheit, die aber wesentlich zur Meinungsbildung in der Bevölkerung beiträgt. Die Mehrheit der Waldnutzer versteht sich glücklicherweise als Besucher. Und diese nutzen die angebotenen Requisiten auch mit viel Respekt.
Als Förster steht man hier eigentlich immer im Spannungsfeld: Man ist hier als der Vermittler zwischen den verschiedenen Akteuren gefragt. Es allen recht zu machen, ist oft nicht möglich. Die einschlägige Gesetzgebung gibt hier meist die Standards vor. Und so ist Radfahren auf Wegen unter 2m Breite in Baden- Württemberg im Wald verboten. Das Rauchen und das Feuermachen im Wald außerhalb von zugelassenen Feuerstellen vom 01.03. bis 01.10 ebenfalls.
Letztendlich ist die Wertschätzung für den Wald auch ein Spiegel der Gesellschaft. Der Wald kann als Ressource und als Lebensraum unendlicher Möglichkeiten betrachtet werden. Aber auch mit dieser Ressource ist pfleglich umzugehen; der Lebensraum muss gewahrt bleiben. In den vergangenen 50 Jahren wurde der Druck des Menschen durch vielfältige Freizeitaktivitäten im Wald stetig mehr. Die Anzahl der verschiedenen Möglichkeiten, welche inzwischen im Wald ausgeübt werden, scheint keine Grenzen zu kennen. Doch wir sollten nie die Wertschätzung für dieses Umfeld verlieren. Man sollte sich wie ein guter Gast in diesem Lebensraum bewegen. Und ein guter Gast akzeptiert die Grenzen und hält sich an die Spielregeln.
Selbstverständlich nutze ich als Förster den Wald auch intensiv – dies ist Kern meiner Aufgabe. Selbstverständlich lassen die dabei eingesetzten Maschinen ihre Spuren im Wald. Und trotzdem nehmen ich und mein ganzer Berufstand in Anspruch. Denn der Wald, wie wir ihn heute selbstverständlich vorfinden, weist – trotz oder wegen der Bewirtschaftung – eine über 300-jährige Erfolgsgeschichte der nachhaltigen Forstwirtschaft auf. Diese Art der Bewirtschaftung ist ein Spagat zwischen Ökonomie und Ökologie und beruht auf einer Basis von Demut und Wertschätzung dem Wald und seiner komplexen Lebensgemeinschaften gegenüber. Man darf nicht vergessen, dass viele der Waldbiotope und Schutzgebiete, welche heute im Wald vorzufinden sind, von Generationen von Förstern schon vor vielen Jahrzehnten erkannt und geschützt wurden. Nur darum haben sie die Zeit überdauert. Nur durch das Lernen aus Fehlern, welche die Übernutzung der Wälder bis weit ins 18. Jahrhundert hinein angerichtet haben, ist es gelungen, die jetzige Form des Waldes zu bewahren. Es gibt in Europa viele Länder, welche heute noch die Wunden der Übernutzung nicht heilen konnten. So sind die Karstflächen der Mittelmeerländer auch ein Ergebnis der Ausbeutung früherer Wälder. Auch Schottland war nicht immer ohne große Waldflächen.
Ich persönlich versuche meine Entscheidungen auf Fakten, wissenschaftlichen Nachweisen, Untersuchungsergebnissen und aufgrund persönlicher Erfahrung zu treffen. Schwierig wird es für mich, wenn der Wald als der Ort des absoluten Friedens verklärt und dargestellt wird. Tatsächlich gibt es wenige Orte, wo das Recht des Stärkeren konsequenter gelebt wird als im Wald. Wächst ein Baum schneller als der andere, bleibt der langsamere auf der Strecke. Oft überwiegt in der Betrachtungsweise des urbanen Waldbesuchers dennoch der Wunsch nach diesem Sehnsuchtsort der Stille und des Friedens. Die Prediger, die genau diese Sehnsucht befriedigen, können unreflektiert und mit großem Erfolg ihre Botschaften verbreiten. Diese Botschaften sind allerding oft nicht erwiesen und sehr oft schlichtweg falsch. Der Natur ist dies egal – sie funktioniert seit Jahrmillionen nach Ihren eigenen Regeln.
Was uns einen sollte, ist die Wertschätzung, wie selbstverständlich die Abläufe im Waldökosystem funktionieren. So ist es doch jedes Jahr ein Wunder, wie plötzlich im Frühjahr das Leben erwacht. So ist es an Komplexität kaum zu begreifen, wie es den Bäumen gelingt in solch kurzer Zeit so eine enorme Masse an Blättern zu bilden. Und dabei ist jedes Blatt anders als das andere. Den Prozess der Photosynthese kann der Mensch bis heute nicht auf technischen Wege herbeiführen. Und so gäbe es noch unendlich viele Vorgänge im Wald, die wir in ihrer Fülle und ihren Zusammenhängen wohl nie in ihrer Vollkommenheit begreifen können. Die Demut und die Wertschätzung diesen Zusammenhängen gegenüber lehren uns doch damit vorsichtig und pfleglich umzugehen. Nicht vorstellbar, wenn diese plötzlich alle nicht mehr von der Natur gesteuert stattfinden würden. Wir Menschen wären schlichtweg machtlos dem Schicksal überlassen.
Martin Nuber, Stadtförster Bad Waldsee